Die Kinderverschickungen in Bayern befinden sich noch im Frühstadium der Aufklärung und Aufarbeitung. Insbesondere bedarf es vielfältiger Forschung - mit unterschiedlichen Fragestellungen historischer, gesellschaftspolitischer, pädagogischer oder psychologischer Art. Wissenschaftlich Forschende können wir bei Bedarf unterstützen.

Bild "Bilderordner:Renate.jpg"Bisher sind über 400 Verschickungseinrichtungen in Bayern bekannt. Damit gehört Bayern zu den Bundesländern mit den meisten Kinderkurheimen. Schwerpunkte gab es im Berchtesgadener Land und im Allgäu sowie an den großen Seen. Nach unserer bisherigen Kenntnis waren es beispielsweise allein im recht überschaubaren Ort Oberstdorf fünfzehn Heime, in Scheidegg elf.
Die Einrichtungen wurden zum einen von Krankenkassen und Wohlfahrtsverbänden unterhalten, zum anderen von kirchlichen und privaten Trägern. Die genauen Belegungszahlen über die Jahrzehnte hinweg sind schwierig zu errechnen, da keine vollständigen Heimlisten vorliegen. Nach einem uns bekannten Heimverzeichnis (Folberth) kommt man allein für das Jahr 1964 auf rund 13.500 Betten in bayerischen Verschickungseinrichtungen.

Verschickt wurden im Regelfall Kinder ab einem Alter von zwei Jahren bis in jugendliche Jahrgänge. Die Gründe waren vielfältig. Eine der häufigsten Begründungen für die Kostenübernahme bei den Krankenkassen waren Unter- oder Übergewicht. In der Kur wurden dünne Kinder regelrecht gemästet, während gleichzeitig dickere hungern mussten. Wer das Essen erbrach, wurde - wie Betroffene häufig berichten -  gezwungen, das Erbrochene aufzuessen. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass viele der Verschickungskinder im späteren Lebensverlauf Essstörungen entwickelten.

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Stadtarchiv Nürnberg A 35 Nr. 84_14

Die Methoden in den Heimen gingen oft weit über die Praktiken der „Schwarzen Pädagogik“ hinaus. Viele Kinder der 1950er bis 1980er Jahre erlebten zwar auch in ihren Familien strenge oder belastende Erziehungsmethoden. Die Erziehungsmaßnahmen während der Verschickungen wurden dennoch als wesentlich schlimmer empfunden und in einer Großzahl der Fälle als traumatisierend erlebt. Viele der Praktiken waren schon zu damaligen Zeiten strafbar, z.B. Isolation, psychische, körperliche und sexuelle Gewalt, gewaltsamer Essenszwang, Schlafentzug, Toilettenverbot, stundenlange Wanderungen ohne Getränkeversorgung selbst in großer Hitze, Einsperren in kalten oder dunklen Räumen. Heute gelten sie als Foltermethoden.
Trotz des Wandels pädagogischer Vorstellungen in der Gesellschaft haben sich die Erziehungsmethoden in den Kinderverschickungseinrichtungen bis in die 90er Jahre fortgesetzt. Nachweislich waren auch Personen angestellt, die im Dritten Reich Tätigkeiten über reine Mitläuferfunktionen hinaus ausübten.